Botschafter der Dithmarscher Kultur
Trotz coronabedingten Einschränkungen kann der Verein für Dithmarscher Landeskunde (VDL) auf ein aktives Jahr zurückblicken. „Die mit der Bekämpfung der Pandemie einhergehenden Einschränkungen im gesellschaftlichen Leben haben die Arbeit des Vereins nur gebremst, sie ist - anders als zum Beispiel bei Sportvereinen - nicht zum Erliegen gekommen“, erklärte der VDL-Vorsitzende Dr. Henning Ibs auf der Jahreshauptversammlung in Albersdorf.
Der Vorstand des Vereins für Dithmarscher Landeskunde (v. li.): Wolfgang W. Schulz, Jürgen Reimer, Katja Thode, Dr. Christoph Otte, Dr. Henning Ibs, Malte Reichert, Dr. Dieter Kienitz, Hans Harald Böttger, Heinrich Sievers, Sigrid Puschmann, Winfried Junge, Dr. Hargen Thomsen. Nicht im Bild: Volker Jansen, Thomas Giesenhagen, Dr. Dietrich Stein. (Foto: Heidi Kienitz/VDL)
Dithmarschens Kreispräsidentin Ute Borwieck-Dethlefs zeigt sich begeistert davon, „was der Verein auf die Beine gestellt hat“. „Überall in Dithmarschen hat Ihre Arbeit Spuren hinterlassen oder historische Spuren wieder aufgedeckt. Damit sind Sie Botschafterinnen und Botschafter unserer Kultur“, sagte die Politikerin.
Kreispräsidentin Ute Borwieck-Dethlefs zeigte sich begeistert von der Arbeit des VDL. (Foto: Heidi Kienitz/VDL)
Anschließend stellte der Albersdorfer Bürgermeister Günther Abraham seine Gemeinde in Zahlen und Fakten vor. Dabei ging er auch auf die jüngste Entwicklung ein – der Um- und Ausbau von AÖZA sowie die möglichen Auswirkungen von größeren Unternehmensansiedlungen.
In seinem Bericht ging Dr. Ibs vor allem auf die Aktionen im Zusammenhang mit dem vereinseigenen der bronzezeitlichen Grabhügelanlage in Brickeln ein. Dort wurden die Grabanlagen in mehreren Aktionen von „Wildwuchs“ und einigen Bäumen befreit, damit die Hügel wieder deutlicher zutage treten. Zudem wurden neue Bäume gepflanzt, ein Rundweg angelegt und eine Ruhebank installiert. Die Optimierungsarbeiten sollen in den kommen Jahren fortgeführt werden.
An neuen Veröffentlichungen in der Schriftenreihe des Vereins gab es im vergangenen Jahr das Buch „Die Welt wird schöner mit jedem Tag“ von Dr. Hargen Thomsen. „Noch in der Röhre“, so Dr. Ibs sei ein Werk des amerikanische Historikers Professor William Urban, der das Thema des Dithmarscher Freiheitskampfes in einen anderen Zusammenhang stellt. Der Vereinsvorsitzende berichtete zudem von der neuen Homepage sowie einem neuen Flyer. Darüber hinaus wurden allen relevanten Unterlagen des VDL neu zusammengestellt, kopiert und sicher verwahrt.
Ebenso wichtig war der Umzug des Archivs von Marne in Räume des ehemaligen Albersdorfer Amtsgebäudes. Ergänzend dazu erläuterte Malte Reichert, dass der VDL für den 19. November 2022 einen „Tag der offenen Tür“ plant.
In den folgenden Einzelberichten erläuterte Katja Thode, welche Veranstaltungen geplant sind, während Dr. Dieter Kienitz auf die Entwicklungen der Zeitschrift „Dithmarschen“ einging. Der Kurzvortrag von Schatzmeister Winfried beinhaltete die erfreuliche Mitgliederentwicklung – zurzeit 628 – und den Kassenbericht. Unterdessen ging Heinrich Sievers auf die Arbeit des Arbeitskreises Genealogie ein, der mehr als 100 Mitglieder zählt und seine Präsenzveranstaltungen mittlerweile in die „Ole Schriewerie“ nach Nordhastedt verlegt hat.
Beim VDL zuständig für die Veranstaltungen: Katja Thode. (Foto: Heidi Kienitz/VDL)
Im Anschluss an die Versammlung referierte Dr. Hans-Peter Stamp aus Rendsburg über das Thema „Wie die Kartoffel nach Schleswig-Holstein kam“. Interessante Erkenntnis: Es stimmt nicht, dass Friedrich der Große die Kartoffel im deutschsprachigen Raum einführte; es gab sie in Mitteleuropa bereits sehr viel früher.
Die Vorstandswahlen hatten zuvor keine Überraschungen gebracht. Der Vorstand setzt sich jetzt so zusammen: Dr. Henning Ibs (Vorsitzender), Volker Jansen (stellvertretender Vorsitzende), Winfried Junge (Schatzmeister), Thomas Giesenhagen (Schriftführer), Dr. Dietrich Stein (Ehrenvorsitzender), Dr. Dieter Kienitz (Redaktionsleiter Zeitschrift Dithmarschen) sowie die Beisitzer: Dr. Christoph Otte (stellvertretender Schatzmeister), Sigrid Puschmann (stellvertretende Schriftführerin, Wiederwahl), Hans Harald Böttger (Wiederwahl), Jürgen Reimer, Malte Reichert (Wiederwahl), Wolfgang W. Schulz, Heinrich Sievers, Katja Thode, Dr. Hargen Thomsen (Wiederwahl). Außerdem wurde Iris Buberl neben Uwe Peters zur Kassenprüferin gewählt.
Dieter Kienitz
Weitere Impressionen von der Jahreshauptversammlung:
Auch der ehemalige Dithmarscher Landrat Hans-Jakob Tiessen (re.), heute Präsident des Landessportverbandes Schleswig-Holstein, war zu gast auf der Jahreshauptversammlung. (Foto: Heidi Kienitz/VDL)
Großes Interesse fand auch der Büchertisch, der von Hella und Jürgen Christiansen betreut wurde. (Foto: Heidi Kienitz/VDL)
Vortrag: Wie die Kartoffel nach Schleswig-Holstein kam
Dr. Henning Ibs begrüsste nach der eigentlichen Jahreshauptversammlung als Referenten Dr. Hans Peter Stamp aus Rendsburg für dessen Vortrag „Wie die Kartoffel nach Schleswig-Holstein kam“. Dr. Stamp raubte seinen Zuhörern ein altbekanntes „Märchen“, nach dem der König Friedrich II von Preußen angeblich in Deutschland die Kartoffel eingeführt haben soll. Im Vogtland gab es den flächenhaften Kartoffelanbau schon 60 Jahre vor der Geburt des Königs. Und als Friedrich noch ein kleines Kind war, setzte sich die Kartoffel in Hessen, im Kraichgau, im Badischen und in der Pfalz durch. Das „Märchen“ um den Preußenkönig ist vielmehr durch seinen Kartoffelbefehl von 1756 entstanden. Dieser bezog sich aber nur auf das frisch eroberte Schlesien und hatte eine ähnliche Zielsetzung wie das Verhalten der Engländer gegenüber Irland, das sie wie eine Kolonie hielten und unterdrückten. Eine Ausbreitung der Kartoffel in Preußen brachte der Befehl nicht, geschweige denn in ganz Deutschland. Und das „Märchen“ von den angeblich bewachten Kartoffelfeldern wurde in Paris und St. Petersburg ebenso erzählt wie in Berlin, heute würden wir es eine foaf-story (friend of a friend) nennen.
Zur Überraschung seiner Zuhörer berichtete der Referent danach über Vorfahren von Dr. Ibs, die zusammen mit einigen hundert weiteren als Menschen süddeutsche Kolonisten ins Land kamen und hier die Kartoffel bekannt machten:
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Friedrich Glaser wurde 1746 in Eutingen (Region Nordschwarzwald) geboren. Er starb 1819 in Friedrichsanbau. Er heiratete Rosina Barbara Ertzinger am 8. Mai 1770 in Kropp, die als Tochter von
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Christian Ertzinger 1745 in Stetten am Heuchelberg (im östlichen Kraichgau) geboren worden war.
Stamp wörtlich: „Wenn es damals das Kolonisierungswerk nicht gegeben hätte, hätten Sie Dr. Ibs heute nicht als Vorsitzenden, es gäbe ihn gar nicht.“
Glaser war Kolonist in Friedrichsanbau (heute Gemeinde Klein Bennebek) und Ertzinger in Westscheide (heute Gemeinde Klappholz). Sie waren 1761 im Rahmen der Kolonisierung der Schleswigschen Geest in den Norden gekommen. Aus ihrer süddeutschen Heimat kannten sie den Anbau der Kartoffel, die im Norden bis dahin weitgehend unbekannt war. Lediglich im Pfarrgarten von Glücksburg hatte der Propst Philipp Ernst Lüders und in Langenhorn einer seiner Schüler Experimente mit Kartoffeln gemacht. Von der Vorteilhaftigkeit dieser Frucht als Waffe gegen den Hunger konnten sie die Menschen im Lande jedoch zunächst nicht überzeugen.
Die Kolonisten, die in 46 neu gegründeten Dörfern auf 574 neuen Bauernhöfen vor 260 Jahren die Geest bevölkerten, sollten das ändern. Die ersten Pflanzkartoffeln wurden auf ihre Anforderung per Schiff aus den Niederlanden importiert und bei der Sandschleuse (Gemeinde Meggerdorf) im damaligen Hafen an der Sorge an Land gebracht. Die Kartoffel wurde zur Waffe gegen die bis dahin immer wieder aufgetretenen Hungersnöte. Es war eine Zeit, in der die moderne Düngung noch nicht erfunden war und deshalb eine besondere Eigenschaft der Kartoffel diese so wertvoll machte. Im Unterschied zu den übrigen Ackerfrüchten bringt sie bei geringer Bodenqualität und fehlender moderner Düngung ein Vielfaches an verdaulicher Energie.
Und die Kartoffel hat noch einen weiteren Vorteil, nämlich als Lieferant von Vitamin C. Da sie bei geschickter Lagerung bis zur nächsten Ernte lagerfähig ist, konnte sie eine empfindliche Lücke füllen. Wenn bis dahin im Februar der letzte Apfel gegessen war, blieb als Vitamin C-Lieferant nur das Wintergemüse - Grünkohl und Rosenkohl. Deshalb wurde damals das, was wir heute als Hausgarten kennen, als Kohlhof bezeichnet. Für das heute für uns so selbstverständliche Sommergemüse war darin kein Platz. Die süddeutschen Kolonisten wie Glaser und Ertzinger änderten auch dies. Sie verlangten nach Saatgut; und aus den überlieferten Importlisten wissen wir, um welche Gemüsearten es ging – fast alles, was wir heute als Sommergemüse kennen. Dafür war jetzt Platz in den Gärten.
So veränderte sich die Ernährung der Menschen hierzulande quantitativ und qualitativ grundlegend. Einige Jahre später hatte man den Kartoffelanbau so weit ausgedehnt, dass eine verstärkte Schweinehaltung möglich war. Auch für das Schwein, das eigentlich Nahrungskonkurrent des Menschen ist, war jetzt reichlich Futter vorhanden.